Testbericht Grunau-Baby IIb D-1197

..am liebsten in der Luft..

 

Wie kommt man zu einem Grunau Baby?

 

Das ist eine berechtigte Frage. Ich fliege in Stölln bei Berlin, und der Interessierte weiß, daß es im Osten praktisch keine wirklichen Oldtimer gab. Man hat sie in den 70ern schlichtweg verbrannt oder andere ähnlich sinnvolle Dinge damit angestellt..

 

Jedenfalls trugen wir uns schon lange mit dem Gedanken, daß auf Lilienthals Flugplatz auch wenigstens eine ‚Fliegende Kiste’ gehört, und das Baby stand ganz oben auf der Wunschliste. Irgendwann stand dann eines bei www.segelflug.de zum Verkauf, und ein paar Wochen nach dem ersten Anruf und einer abenteuerlichen Abholung (passender Hänger? Fehlanzeige) stand es tatsächlich auf einmal auf dem Hof.

 

Die Geschichte des Grunau Baby

 

Das Grunau Baby ist in mehrfacher Hinsicht ein Rekordflugzeug. Zum einen dürfte es mit Konstruktionsjahr 1930/31 das älteste Segelflugzeug sein, das noch in mehreren Exemplaren fliegt. Zum anderen dürfte die Gesamtstückzahl von über 5.000 gebauten Babys auf absehbare Zeit konkurrenzlos bleiben und den Neid jeder heute noch existierenden Herstellerfirma wecken.

 

1931 hat Edmund Schneider in Grunau das erste Baby gebaut und eingeflogen. Ein für den kleinen Geldbeutel  erschwingliches Fluggerät sollte es sein, und so entwickelte er ein  Segelflugzeug, welches einen guten Kompromiß zwischen  Preis und Leistung darstellte und von vornherein  auch für den Gruppennachbau gedacht war.

 

Das Baby ist dann kontinuierlich weiter entwickelt worden. Vor dem Krieg gab es noch die Versionen II/IIa und IIb, und 1951 die Version III (mit Haube). Für ganze 90,- DM konnte man damals einen Bauplan kaufen und den Segler dann in der eigenen Werkstatt bauen, was das Baby zu einem sehr populären Flugzeug machte. So ist übrigens auch unser Baby mal entstanden, als Werkstattbau 1952 in Böblingen.

 

 

Das  Grunau Baby war in allen Versionen eine einfach aufgebaute und  solide Konstruktion aus Kieferleisten, Sperrholz und Leinwand.  Es war wahlweise mit Kaurit oder Kasein Leim zu verarbeiten,  wobei Exemplare mit der letztgenannten Substanz nur bei sehr  guter Lagerung die Jahre bis heute überlebten.

 

Am Boden

 

Durch sein geringes Gewicht und die Spannweite von nur 13m ist das Baby ausgesprochen handlingfreundlich. Unser Baby hat ein kleines Zweiradkullerchen, das mit einem starken Dorn in ein Loch in der Kufe greift, damit kann man das Baby auf dem Platz gut bewegen. Nur in der Halle ist es etwas umständlicher (aber zur Not kann man das Baby ja auch zu fünft tragen!). Vor dem Höhenleitwerk sind am Rumpf zwei Griffe angebracht; aber zum Heben reicht schon ein kräftiger Flieger aus. In der Halle kann am es mit einem Bock hochstellen und braucht so gut wie keinen Platz in der Halle.

 

 

Einsteigen

 

Schon wenn man vor dem Flugzeug steht, stellt man fest, daß die (Größen-)verhältnisse vor 70 Jahren doch anders waren als heute. Die Sitzposition teilt einem dann auch gleich mit, daß sie nicht wirklich für Leute über 1,75m gedacht ist (ich bin aber 1,90m groß). Die Pedale waren damals noch nicht verstellbar, also gewöhn’ Dich lieber gleich an leicht angehockte Beine. Im Gegensatz zur Ka6 ist einem dabei das Instrumentenbrett glücklicherweise nicht im Weg und es geht ohne blaue Flecken ab. Um einen Fallschirm mitnehmen zu können, muß man sowieso schon fast ein Zwerg sein.

 

Ist man über 1,80m groß, beginnt man schnell, den Verzicht auf die wichtigste Ausrüstungsoption zu erwägen – eine Haube stört doch eh’nur (der aufmerksame Betrachter wird merken, daß sie auf allen meinen Bildern fehlt). Für kleinere Piloten ist sie durchaus sinnvoll, weil man hinter dem Windschutz auch wirklich geschützt sitzt; größere Piloten lernen schnell, warum Quax immer mit Lederbekleidung und Fliegerbrille in seine D-EMMA kletterte – außerdem sieht man so doch viel besser aus.

 

 

Starten

 

Stammtischfrage für alle Baby-Flieger und alle, die es werden wollen: was sind die idealen Bedingungen für einen Windenstart mit dem Baby? ..Rückenwind..?? Tatsächlich, wenn eine leise Brise von hinten säuselt, kann man gemütliche Starts bei Tempo 70 erleben. Bei normalen Windverhältnissen muß der Windenfahrer schon besonderes Geschick entwickeln, um einen nicht über den zulässigen 80 km/h zu schleppen. Die Roll-, oder besser Gleitstrecke am Start beträgt bei jedem Wetter nur wenige Meter, und schon ist man in der Luft. Dasselbe gilt auch für Flugzeugschlepps, wo man gut hinter einem UL starten kann. Eine neuere Schleppmaschine hat häufig etwas Mühe mit Schlepps bei maximal 100 km/h.

 

Bei stärkerem Seitenwind merkt man dann allerdings schnell, daß man zügig voll gegensteuern muß. Hat man das getan, darf man dann zwei bis drei Sekunden warten, ehe man erfreut feststellt: ah, es passiert was. Am Seil ist die Ruderwirkung etwas schwerfällig.

 

Bei normalem Wind sind die Starts aber ziemlich unproblematisch, und ist man erstmal oben, kommt das Schönste...

 

...Baby fliegen

 

Meine ersten Eindrücke waren so etwa die folgenden: 1.) Man kann tatsächlich ohne Plexihaube fliegen! 2.) Hier kann man ja den Arm rauslegen wie bei einem Manta Cabrio 3.) Es gibt ein Leben unter Tempo 70. Erreicht man dann die erste Thermikblase, kommen als nächste Eindrücke hinzu: 4.) Fliegen findet mit dem Hintern statt und 5.) Ich wollte schon immer mal einen Kreis in Frühstückstellergröße fliegen.

 

In der Luft ist das Baby ein ausgesprochen gemütliches und anspruchsloses Flugzeug. Man kann es selbst bei Tempo 50 noch gut fliegen und es reagiert auch gut auf alle Ruder-bewegungen. Bei dem geringen Gewicht des Flugzeugs wird einem der Eintritt in die Thermik durch kräftige Drücke am Sitzfleisch mitgeteilt. Schon 30-Grad-Kreise sind so eng, daß man damit den Neid jedes anderen Piloten wecken kann und das Flugzeug steigt gut.

 

Allerdings sollte man den Aufwind nicht hinter einer Superorchidee verlassen, sonst hat man schnell das unangenehme Gefühl, in einem Fahrstuhl abwärts zu stehen. Die Gleitflugleistungen sind natürlich im Vergleich zu jedem anderen Segler bescheiden, einmal gewonnene Höhe muß klug verwaltet werden; aber dafür ist der Spaßfaktor umso höher. 

 

Wer sich mal so richtig über die hohen Temperaturen unter einer Flugzeughaube geärgert hat, wird außerdem feststellen, daß man mit vernünftiger Kleidung (Jacke, Haube, Brille!) sehr angenehm unterwegs ist und so gut wie keine Kopfschmerzen bekommt.

 

 

 

Nur die Sitzposition ist auf Dauer unangenehm, so daß der Rücken irgendwann nicht mehr mitspielt. Aber was tut man nicht alles... Aber Spaß beiseite: bei mir waren drei Stunden die physische Grenze für einen Baby-Flug und ich erwäge ernsthaft regelmäßiges Rückentraining.

 

Auch das Landen ist nicht schwer. Die Klappenwirkung ist anständig, Slips werden ausgesprochen brav ausgeführt und man steht nach wenigen Metern. Ich könnte mir vorstellen, daß Landewettbewerbe (beim Abfliegen o.ä.) öfters eine einseitige Angelegenheit sind, wenn ein Grunau Baby teilnimmt.

 

Die gut gefederte Kufe hält auch die Rückenbelastung beim Landen in Grenzen, und so hat man dann alles in allem einen wirklich schönen Flug erlebt.

Fazit:

 

Das Grunau Baby ist ein Flugzeug ohne wirkliche Konkurrenz. Wer wirklich wissen will, warum Fliegen schön ist, sollte mal in ein Baby steigen.

 

Aber Vorsicht! Das Baby fühlt sich in der Luft am wohlsten und besitzt erhebliches Suchtpotential. So überlegt man dann bald, ob es nicht noch Steigerungsmöglichkeiten für das Oldtimer-Feeling gibt ...

 

 

Grüße aus Stölln

Peter