Segelflugzeugtestbericht Caproni Calif A21S
Photo by Glen Holden
Der Caproni Calif A21S ist eine Entwicklung aus den frühen ’70gern aus Italien und ist eigentlich die erste zweisitzige ‘Super-Orchidee’. Einen Doppelsitzer mit einer Flügelstreckung von über 25 hat damals noch keiner der etablierten Hersteller gebaut. Darüber hinaus hat der Calif eine Reihe von technischen Leckerbissen, die sich sonst nirgendwo anders durchgesetzt haben - aber davon später mehr.
Caproni Vizzola war einer der ältesten Flugzeughersteller in Europa und die Entwicklung des Calif wurde von Carlo Ferrarin und Livio Sonzio geleitet - der Name Calif ist durch das Zusammenziehen der Vornamen Carlo und Livio entstanden.
Parallel zum reinen Segler wurde auch eine Selbststartversion mit einem Micro-Jet entwickelt; A21SJ. Davon fliegen immernoch ein paar Muster in den USA und Australien.
Die technishen Daten sind hier zusammengefasst:
http://www.tschager-gold.it/segelflug/calif_perform.htm
Ich habe in meiner Segelfliegerkariere eine Reihe von verschiedenen Mustern geflogen; unter anderem eine H301 Libelle für über 30 Jahre. Nach so langer Zeit im Einsitzer hatte ich den Wunsch, einen Doppelsitzer mit entsprechender Leistung zu erwerben. Da ergab sich die Möglichkeit, einen Calif, welcher ganz in der Nähe stand, zu fliegen und ihn zu kaufen. Der Calif kam mit einem fabrikneuen Cobra Anhänger - ein wesentlicher Entscheidungsfaktor!
Die Auslegung des Calif:
Aufrüsten
Der Calif ist in fast jeglicher Hinsicht anders als man es von herkömmlichen Segelfugzeugen gewohnt ist. Das geht schon beim Aufrüsten los. Der Rumpf wird aus dem Rumpfwagen herausgezogen und steht auf seinem Zweibeinfahrwerk ohne Hilfe ein paar Meter entfernt vom Hänger. Haube und Schlitzverkleidung lassen sich mit wenigen Handgriffen zusammen abnehmen.
Der Flügel ist dreiteilig ausgeführt. Das Mittelstück hat eine Spannweite von etwas über 5m und wiegt ca.100kg! Das Aufrüsten sollte besser mit vier Helfern erfolgen, um das Mittelstück bequem und ohne Bandscheibenschaden vom Anhänger auf den Rumpf zu bringen. Die Querruder schliessen sich fast automatisch an - man muss nur vor dem Einführen der beiden Mittelflügel-Hauptbolzen das Kegelende der Steuerstange in eine Aufnahme unterm Mittelteil einführen und auf ein ‘Klick’ warten, welches die Verriegelung bestätigt. Der Wölbklappenantrieb wird mit einem L’Hotellier Kugelanschluss hergestellt. Das geschieht in voller Sicht - nicht wie bei einer ’20 mehr oder weniger ‘auf Gefühl’!
Das Höhenruder kann man alleine installieren - sollte man aber nicht. Die Seitenruderflosse ist ca. 2m hoch und der Anbau des gedämpften Höhenruders ist einfacher mit zwei Personen zu bewerkstelligen. Die beiden Höhenruderklappen werden in Taschen eingeführt und haben somit einen Zwangsanschluss. Gesichert wird das Ganze durch eine horizontale Innen-Sechkantschraube, die unverlierbar in der Höhenruderflosse eingebaut ist.
Danach kann man seine Helfer entlassen und ihnen ein Bier am Ende des Tages versprechen oder ihnen die Adresse des nächsten Chiropraktikers geben. Das ist natürlich nur Spass! Es geht wirklich einfach und recht fix, wenn man die richtige Crew hat! Ich habe bis jetzt noch keine Freunde verloren, die mir beim Aufrüsten geholfen haben.
Ich habe eine IMI-Ein-Mann-Aufrüsthilfe und kann von nun an den Aufrüsvorgang alleine beenden. Die beiden Aussenflügel sind jeweils ca. 7.5m lang; also ganz ähnlich wie ein ‘normaler’ 15m Flieger. Die Montage erfolgt allerdings - wie zu erwarten - ganz anders. Es gibt keine Holmstummel oder Gabeln. Im Nasenbereich des Aussenflügels befindet sich ein feststehender Bolzen, welcher in Flugrichtung zeigt. Dieser muss in ein Kugelauge im Mittelstück eingeführt werden. Dazu muss der Aussenflügel mit einem Winkel angesetzt werden - das Flügelende muss in Flugrichtung voraus stehen. Ist der Nasenbolzen in das Kugelauge eingeführt, wird der Aussenflügel mit Hilfe der Aufrüsthilfe nach hinten geschwenkt, bis die Wölbklappen- und Querruderantriebe eingreifen sowie die Hauptbolzenaugen übereinander stehen.
Die Hauptbolzen befinden sich am Aussenflügel und sind eine ungewöhnliche Konstruktion. Über einen Innen-Sechskant Schlüssel wird der obere Bolzen nach oben und gleichzeitig der untere Bolzen nach unten getrieben (Links/Rechts-Gewindespindel). Ein ähnliches System habe ich bei einigen ost-europäischen Mustern gesehen. Ist diese Verbindung gemacht, kann der Flügel mit einer gewöhnlichen Stütze gehalten und der andere Aussenflügel montiert werden.
Der gesamte Aufrüstvorgang dauert nicht wesentlich länger als z.B. das Aufrüsten unseres TwinAstir-II Acro oder eines L13/23, was selten ohne Blutungen abgeht.
Aussenflügel Mittelflügel
Um die Sache zu beschleunigen, hangiere ich den Rumpf mit dem Mittelflügel montiert und brauche so nur noch die Aussenflügel anzubauen.
Der Transport von der Halle zum Startplatz erfolgt als recht langer Schleppzug. Der Rumpf wird am Anhänger angekuppelt und rückwärts gezogen.
Das Cockpit:
Das Rumpfboot bis zur Rumpfröhre hinter dem Flügel ist aus GfK gefertigt und an der tragenden Metalkonstruktion aufgehängt. Hinter dem Flügel ist der Rumpf stark eingeschnürt.
Im Calif sitzt man nebeneinander. Das Cockpit ist sehr geräumig und man sitzt nicht wie z.B. in einem Motor-Falken mit ‘Schulterschluss’.
Damit sind die Gemeinsamkeiten aber schon vorbei. Um die Rumpfnase einigermassen aerodynamisch zu halten, sind die Rückenlehnen um ein paar Grad nach innen gedreht. Ausserdem sind die Ruderpedale ein paar cm zur Rumpfmitte versetzt. Im Flug merkt man davon gar nichts; man muss nur bei der Landung ein wenig aufpassen, um nicht schiebend aufzusetzten; aber dazu später mehr.
Die Rückenlehnen sind ganz ähnlich wie die des 18m Cirrus ausgeführt, d.h. man rollt die Lehne auf, um die Sitzhöhe zu verstellen. Die Lehne kann auch nach vorne oder hinten verstellt werden; allerdings nicht im Flug. Zusammen mit dem guten Vestellbereich der Seitenruderpedale (unabhängig von einander) kann die Sitzposition von ‘Zwerg’ bis ‘Riese’ angepasst werden. Ich persönlich fliege mit einem Thin-Pack Chute und habe bisher auch bei längeren Flügen keine Druckstellen oder eingeschlafenen Beine/Füsse erlebt.
Alle Bedienelemente sind gut zu erreichen. Getrimmt wird wie in einem Motorflugzeug über ein grünes Trimrad. Es ist eine Federtrimmung.
Das Fahrwerk wird mit Hilfe eines Hebels in der Mittelkonsole ein- und ausgefahren. Um die Bedienkräfte gering zu halten, lässt sich der Fahrwerkshebel teleskopisch verlängern und steht deshalb in beiden Endpositionen nicht hervor.
Die Belüftung erfolgt über zwei Düsen an der Bordwand sowie eine in der Nase, um die Haube beschlagfrei zu halten. Die Luft wird über zwei NACA Hutzen am Rumpf unter den Flügeln abgezogen. Diese beiden Hutzen lassen sich im Flug öffnen und schliessen. Darüber hinaus haben die Schiebefenster in der Haube die üblichen Scoops.
Die Sicht rund herum ist sehr gut und der Haubenrahmen stört so gut wie nicht. Die Funkantenne ist im festen Teil des Haubenrahmens eingebaut.
Zwei gold-gelbe Ausklinkhebel sind links und rechts an der Bordwand angebracht.
Der Calif hat nur eine Tost Kupplung im Schwerpunkt mittig unter dem Rumpf. Diese kann entweder eine Winden- oder F-Schleppkupplung sein. Der Calif kann in beiden Startarten gestartet werden.
Das Fahrwerk:
Das Fahrwerk ist zweibeinig nebeneinander ausgeführt. Die Räder sind mehr oder weniger auf der Linie der Sitze angeortnet. Dadurch bleibt der Rumpf in der waage, wenn man einsteigt. Die Fahrwerksschwingen fahren nach hinten in den Rumpf ein und die recht grossen Fahrwerksklappen verschliessen die Schachtöffnungen zur Rumpfmitte hin. Die beiden Fahrwerksschwingen sind starr zusammen über einen grossen Federdämpfer gefedert, sodass auch Landungen auf holperigem Gelände nicht zum Verlust von Zahnfüllungen führen.
Die beiden 3.5-5-Zoll Räder kommen von Tost und haben eine Innenbackenbremse. Der Bremshebel befindet sich an der Mittelkonsole. Die Bremsleistung ist ok - mehr als die Räder zum Blockieren zu bringen bringt eh nix!
Die Flügel:
Die Flügel sind komplett aus Alumimium gefertigt, was viele, die nicht mit dem Calif vertraut sind, nicht glauben können und erst durch ‘klopfen’ bestätigt sehen. Es kamen ausschliesslich Senknieten zum Einsatz, so dass die Oberfläche extrem glatt und formtreu ist.
Wie eingänglich erwähnt kamen weitere konstruktive Leckerbissen zum Einsatz, welche im Segelflugzeugbau weitestgehend unbekannt sind. So wurde die Nasenleiste komplett aus einem Strangpressprofil gefertigt, d.h. die Formtreue ist extrem hoch. Das Gleiche gilt für die Querruder und Wölbklappen. Die Hinterkanten dieser Teile sind ‘messerscharf’ und die Klappen sind profiliert, was sich nur im Hohlstrangpressverfahren erzeugen lässt. Auch die Höhenruderklappen wurden so hergestellt. Ausserdem wurden etliche andere Teile im ‘Chemical Milling’ Verfahren hergestellt.
Eine weitere Besonderheit an den Flügeln sind die Wölb/Bremsklappen. Es gibt nur einen Hebel auf der Mittelkonsole, welcher beide Funktionen steuert. Anders als bei ‘normalen’ Klappenfliegern ist die Hebelstellung nach vorne gleich voll positiv und nach hinten gleich voll negativ. Das erfordert anfänglich ein wenig Umdenken. Die Querruder und Wölbklappen haben keine Überlagerung - sie sind komplett unabhängig.
Wird der gleiche Hebel über eine kleine Sperre hinweg weiter nach hinten bewegt, wirds interessant! Nun öffnen sich die Bremsklappen auf der Flügeloberseite gegen den Luftstrom und gleichzeitig fahren die Wölbklappen auf +89° runter. Die oberen Bremsklappen befinden sich nur an den Aussenflügeln und erstrecken sich von derern Wurzel nach aussen bis kurz vor das Querruder. Die unteren Bremsklappen erstrecken sich über die gesamte Spannweite (20.38m) minus Rumpfbreite und Querruder. Die Bremsklappen sind gut ausbalanciert und bleiben ohne Hand am Hebel stehen.
Die Bremswirkung ist kolossal aber zu dem, was man damit anstellen kann, mehr später.
Der Calif im Flug:
Der Calif hat ein MTOW von 644kg - er ist also in der Klasse eines DuoDiscus oder Janus mit Wasser. Wir schleppen mit einer Piper Pawnee 235 und die hat kein Problem, den Calif in die Luft zu zerren, auch bei knapp 40°C, die hier oft im Sommer herrschen.
Der Start ist denkbar einfach:
Erst mal die Flügelperson wegschicken - die wird nicht gebraucht! ;-)
Klappen ‘Full Positive’ setzen und mit leicht gedrücktem Knüppel anrollen, damit der Schwanz abhebt.
Bei ca. 65-70km/h hebt der Flieger ab und sofort fällt auf, wie stabil er in der Luft liegt.
Der Schlepp erfolgt am besten so um 100km/h.
Nach dem Ausklinken das Fahrwerk einfahren und den Flieger austrimmen. Wurde man in einen Bart geschleppt, kann auf ca. 85km/h ausgetrimmt werden und mit entsprechender Querneigung gekurbelt werden. Dabei begeistert mich immer wieder die Stabilität, mit der der Calif in der Thermik liegt - selbst in starker und turbulenter Thermik kann man die Nase mit dem Seitenruder am Horizont halten und den Knüppel loslassen.
Hat man den Bart ausgekurbelt, rollt man auf Kurs aus, trimmt auf die neue Geschwindigkeit aus und nimmt die Klappen auf negativ. Die Rollgeschwindigkeit ist natürlich nicht mit einem 15m Rennklasse Flieger zu vergleichen; ist aber besser als die unseres Twin-II. Die Querruderkräfte halten sich auch in Grenzen. Das Handbuch empfiehlt zum Einkurven in einen Bart die Querruder voll auszuschlagen, da man dadurch die kurveninnere Querruderklappe sehr steil nach oben stellt diese wie ein ‘Spoileron’ wirkt.
Das Überziehverhalten des Calif ist gutmütig und der Flugzustand wird durch deutliches Schütteln angezeigt. Ich habe bis her noch keine Tendenz zum Abkippen über die Fläche erlebt. Der Flieger geht in einen Sackflugzustand über und fängt sich durch leichtes Nachlassen des Knüppels sofort.
Es erfordert ein wenig Gewöhnung mit einem Flieger zu kurbeln, in dem man nebeneinander sitzt. Wenn man schon mal in einer G109, H36, SF25, etc. gekurbelt hat, wird diese Lernkurve nicht all zu steil sein.
Mein Calif ist gut abgedichtet und abgekebt, so dass die Windgeräusche gering sind. Öffnen und Schliessen der NACA Hutzen zur Belüftung macht hier keinen Unterschied.
Das tollste sind die Landungen! Wie bereits erwähnt sind die Landeklappen extrem wirksam. In der Platzrunde trimmt man den Flieger auf 100km/h aus, setzt die Klappen auf ‘full Positive’, fährt das Fahrwerk aus und verriegelt den Hebel in der ‘Down’ Position. Noch mal nachtrimmen, falls erforderlich und mit der Geschwindigkeit bis in den Endteil fliegen. Dabei macht es Nichts aus, wenn man zu hoch ist. Die empfohlene Strategie ist, so lange den Landeanflug in Normalfluglage zu fliegen, bis der Aufsetzpunkt unter der Nase verschwindet. Dann zieht man die Klappen durch den negativen Bereich in den Landebereich und drückt nach. Das Erstaunliche dabel ist, dass man den Anflugwinkel mit dem Knüppel einstellen kann, ohne dass sich dabei die Geschwindigkeit grossartig verändert! Man kann also kurz vor den gewünschten Aufsetzpunkt zielen und den Anflug an den Klappen hängend mit 100 - 110km/h stabil fliegen. Sollte man sich dabei total ‘verbasteln’, weil man z.B. den Gegenwind unterschätzt hat, dann fährt man die Klappen flux wieder durch den negativen Schnellflugbereich in den positiven Bereich und streckt den Anflug. Das Handbuch sagt ‘move Flap Handle expediciously to positive Flap setting’. Man sollte dieses Manöver nicht in Bodennähe durchführen.
Wenn man den Abfangbogen einleitet, kann man die gewaltige Wirkung der Flaps nochmal bemerken, denn die Fahrt fällt rapide ab. Da die Flügel dicht über dem Boden liegen, ist der ‘Ground-Effect’ spürbar und ein Durchsacken mit hartem Aufsetzen kommt eigendlich nicht vor. Beim Ausrollen merkt man die grosse Masse des Calif, denn die Bremsen haben gut zu tun und manchmal riecht es doch ein wenig ‘bräsig’!
Ich habe mal einen ‘Rapid Descent’ machen müssen, da mein PAX ‘mal musste’. Die .igc Datei zeigte dabei eine Sinkrate von ca. 30m/s!!
Wie eingänglich erwähnt, muss man die etwas schräge Sitzposition kurz vor dem Aufsetzen in Betracht ziehen. Wenn man die Bewegung über Grund mit der eigenen ‘Line of Sight’ ausrichtet, wie man es von einem normalen Segelflugzeug gewohnt ist, dann schiebt man ein wenig. Man muss also kurz vor dem Aufsetzen die Ausrichtung per beherzten Tritt ins Seitenruder korrigieren, dass es so aussieht, als ob man schiebend aufsetzt. Das erfordert ein wenig Übung, ist aber kein Problem zu lernen.
Ich habe mir dem Calif bereits viele Überlandflüge gemacht. Die schönsten Flüge habe ich in Colorado im Sommer 2017 geflogen. Die Thermik geht dort auf über 18,000ft (Sauerstoff ist eingebaut) und ich habe z.B. von Moriarty, NM aus ein 300km Dreieck mit einem Schnitt von 100km/h geflogen, ohne dabei aus der Gleitweite zum Heimatflugplatzes zu geraten oder agressiv fliegen zu müssen!
Zusammfassung:
Der Caproni Calif A21S ist ein komplexes, zweisitziges Hochleistungs-Segelflugzeug in Metalbauweise mit vielen technischen Besonderheiten. Er ist nicht unbedingt für den rauhen Clubbetrieb gedacht aber er begeistert durch seine Leistung im Überlandflug. Er ist ideal für eine Haltergemeinschaft geeignet und bietet ‘the most bang for the $$’!
Ulrich Neumann
Calif #228, N72312